Die Reederei AV auch Auguste Victoria Reederei, wurde 1954 von dem Bergwerk AV (Auguste Victoria) in Marl gegründet. Sie erhielt 1955 die 3 Schiffe AV 1 "Paul Stein" , AV 2 "Gerhard Jüttner" sowie AV 3 "Ludwigshafen" und 1956 weitere 3 Schiffe AV 4 "Stadt Marl" , AV 5 "Hohe Mark" und AV 6 "Haard". Im Juni 1967 übernahm die Bremer Reederei Dettmer & Co. alle sechs Schiffe samt der 7 Schiffsführer, 3 Steuermänner, 6 Matrosen und 4 Schiffsjungen.
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Daß ein Bergwerk eigene Lastkraftwagen und Lokomotiven hat, ist selbstverständlich. Aber eine eigene Schiffsflotte, wie AV sie besaß, ist doch schon recht ungewöhnlich. Doch dafür gab es damals gute Gründe.
Anfang der 50er Jahre lag der jährliche Gesamtgüterumschlag der BASF bei rund 5 Millionen Tonnen. Etwa die Hälfte davon wurde am eigenen Rheinkai durch Binnenschiffe abgewickelt. Bei der Entflechtung der I.G. hatte die BASF ihre bis dahin bestehende Beteiligung an der Josef-Schürmann GmbH, Duisburg, verloren. Sie selbst verfügte jetzt nur noch über 3 Motor- und 2 Schleppschiffe.
Es war absehbar, daß bei steigender Produktion auch die Kohle- und Koksbezüge von AV weiter zunehmen würden. Andererseits hatten sich die Frachtsätze ab Seehafen im Laufe des Jahres 1954 bereits verdoppelt.
So lag der Gedanke nicht fern, für die zusätzlichen Kohle- und Kokstransporte von Marl nach Ludwigshafen 5 bis 6 Motorgüterschiffe anzuschaffen. Zur Finanzierung war ein Schiffsbaudarlehen vorgesehen, das die BASF nach den besonderen Bedingungen des § 7 d EStG an AV gewähren würde. Diese Begünstigung war allerdings befristet bis zum 31. Dezember 1954.
Nach langwierigen Verhandlungen bestätigten die Bundesministerien für Verkehr und Finanzen die schiffahrtspolitische Förderungswürdigkeit dieses Projektes, so daß Anfang Dezemher 1954, noch schnell vor Jahresschluß, Aufträge zum Bau von 6 Motorgüterschiffen für insgesamt 5,1 Millionen Mark vergeben werden konnten.
In den steuerlichen Ausführungsrichtlinien war festgelegt, daß die schiffahrtspolitische Förderungswürdigkeit nur für bestimmte Schiffsneubauten gelten sollte. Dazu gehörten Motorgüterschiffe des Typs „Johann Welker". 3 Schiffe dieses Typs wurden bei der Schiffs- und Maschinenbau AG Mannheim, 3 weitere des gleichen Typs bei der Werft Ruthof bestellt.
Ruthof lieferte die drei Schiffe um die Jahreswende 1955/56 aus. Sie erhielten neben den Kennzeichnungen „AV 1" bis „AV 3" die Namen „Paul Stein", „Gerhard Jüttner" und „Ludwigshafen". Die 3 weiteren Schiffe wurden im weiteren Verlauf des Jahres 1956 fertig. „AV 4" wurde auf den Namen „Stadt Marl" getauft, „AV 5" auf den Namen „Hohe Mark", und „AV 6" tuckerte zum Ruhme der „Haard" über die Binnenwasserstraßen.
Beim Stapellauf des ersten Schiffes im April 1955 erklärte der damalige Vorsitzende des Grubenvorstandes der Gewerkschaft Auguste Victoria, Bernhard Florin: Da Schiffsraum auf dem Rhein außerordentlich knapp sei, käme dieses Schiff gerade recht. Bei AV sollten ja keine Kohlenhalden anwachsen, zumal diese Kohlen bei der BASF dringend gebraucht würden. Bei der Wahl des Namens „Paul Stein" habe man nicht lange überlegen müssen. „Noch heute", so Florin, „wird sein Name genannt, wenn man nach Richtungspunkt und Maßstab sucht". Mit Grüßen an die Gattin Paul Steins gab Bergwerksdirektor Florin das Wort an dessen Sohn Walter Stein, der die Schiffstaufe vornahm.
Die sehr modernen Schiffe fuhren mit einer Geschwindigkeit von etwa 12 Kilometern pro Stunde stromaufwärts. Stromabwärts ging es sogar mit 22 Kilometern pro Stunde. Mit einer Länge von 80 Metern, einer Breite von 9,5 Metern und einer Seitenhöhe von 2,5 Metern waren diese Schiffstypen damals die größten, die noch für die Kanalfahrt zugelassen wurden. Jedes Schiff war in der Lage, etwa 1.100 Tonnen Kohle zu transportieren. Im Durchschnitt brachte es jedes Schiff pro Monat auf 2,2 Reisen nach Ludwigshafen. Von 1955 bis Mitte 1966 wurden mit den sechs AV-Schiffen rund 1,8 Mio Tonnen Kohle und Koks von Marl nach Ludwigshafen transportiert.
In den ersten fünf Jahren wurden mit den Schiffen ausgeglichene oder sogar positive Ergebnisse erwirtschaftet. Dies änderte sich, als die Erlöse durch zunehmende Konkurrenz und schlechtere Auslastung Anfang der 60er Jahre stark schrumpften. Auf der anderen Seite erhöhten sich mit zunehmendem Alter der Schiffe die Reparaturkosten und die Ausfallzeiten.
Als sich immer klarer abzeichnete, daß die Frachtraten auf dem Rhein weiter zurückgehen würden, schlug die BASF im November 1966 vor, die Schiffe zu verkaufen. Für den Käufer sollte der Erwerb dadurch attraktiver werden, daß er über mehrere Jahre die Kohletransporte zwisehen Marl und Ludwigshafen durchführen konnte.
Nach längeren Verhandlungen kam es im Juni 1967 zum Abschluß eines Kaufvertrages mit der Bremer Reederei Dettmer & Co., die alle sechs Schiffe samt der 7 Schiffsführer, 3 Steuermänner, 6 Matrosen und 4 Schiffsjungen übernahm.