Nur wahren Riesen wird die Kraft zugeschrieben, Flüssen und Strömen einen anderen Lauf zu geben. Eines Herkules bedurfte es der antiken griechischen Sage zufolge, um 2 Flüsse zu zwingen, bergauf zu fließen. Auch in unseren Tagen benötigt man solche Riesenkräfte, um Ströme aus ihrem Bett zu zwängen und sie auf Abwege zu führen. Schon immer war es der Traum der Menschheit, sich das fließende Wasser untertan zu machen. Und Tausende von Kanälen, die bereits im Altertum entstanden, Talsperren, Stauwerke, Bewässerungssysteme überall auf der Erde sind Zeugnis dafür, daß derartige Träume zur Wirklichkeit geworden sind. Aber ganze Ströme und Flußsysteme zur Umkehr zwingen, damit sie eine andere Flußrichtung nehmen? Wer soll der Riese sein, der daß zustande bringt!
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Maxim Gorki schildert in seinem Reportageband "Durch das Land der Sowjets" ein Gespräch mit einem Rotarmisten kurz nach der siegreichen Oktoberrevolution, der auf den Spott eines "Mannes mit Hut" ob die Sowjetmacht vielleicht auch Flüsse zum Rückwärtsfließen bringen wolle, selbstbewußt erwiderte "Sie werden so fließen, wie wir es wünschen. Lachen Sie ruhig." Die Zuversicht des Rotarmisten in zerschlissener Uniform, mit Strohschuhen an den Füßen, Analphabet und hungrig, wird schon nach wenigen Jahrzehnten in den Bereich der Realität gerückt sein.
Am Anfang stand die kühne Idee des sowjetischen Ingenieurs Michail Dawydow. Er veröffentlichte Ende er 40er Jahre in Moskau einen aufsehenerregenden Plan, der in seiner Dimension wohl das Abenteuerlichste war, was jemals zur Umgestaltung der Natur erdacht worden ist. Er schlug vor - und wies diese Möglichkeit durch exakte Berechnungen nach -, die gewaltigen zum Nordmeer drängenden Wassermassen von Ob und Irtysch am Zusammenfluß der beiden Ströme anzustauen, damit Sie Ihren Lauf nach Süden zur Bewässerung der Wüsten und Steppen Mittelasiens und Kasachstans nähmen. Dabei ging er von der Tatsache aus, daß die sibirischen Ströme ungeheure Mengen wertvollen Wassers nutzlos durch kaum bevölkerte Gebiete ewigen Frostes nach Norden tragen, während im Süden durch latente Wasserarmut die Böden versteppen, die Wüsten weiter vordringen und die wenigen Gewässer austrocknen oder mehr und mehr versanden. Nicht zuletzt hatte er die permanent absinkenden Wasserstände großer Binnenmeere wie des Kaspischen Meeres und des Aralsees, im Auge, die auf Dauer katastrophale Folgen für das gesamte geographische Milieu in dieser Region haben können.
Der Dawydow-Plan ist in der Sowjetunion nie vergessen worden. Nicht zuletzt gaben die Überlegungen und Berechnungen des kühnen Ingenieurs den Anstoß, solche enormen Projekte zu verwirklichen wie den Wolga-Don-Kanal, den Nordkrimkanal und den Karakumkanal mit seiner Ableitung des Wassers aus dem Syrdarja auf inzwischen 1100 km Länge quer durch eines der ödesten Trockengebieten der nördlichen Halbkugel. Die Folgen dieser Kanal-und Ableitungsbauwerke, die wegen ihrer Dimensionen zu ihrer Zeit in der Welt größtes Aufsehen erregten, sind überzeugend. Zehntausende Hektar ehemals versteppter und Wüstenböden wurden zu blühenden Gärten. Neue, volkswirtschaftliche unschätzbar wichtige Transportwege wurden erschlossen. Auch nach vielen Jahren des Schiffsverkehrs auf dem Karakumkanal ist es immer wieder erregend, bei der Durchquerung der Wüste plötzlich auf Schiffskonvois zu stoßen, die landwirtschaftliche Erzeugnisse von ehemaligem Wüstenboden westwärts zur Weiterverarbeitung transportieren. Derartige Eingriffe in die Natur bedürfen der gründlichen Erforschung aller Bedingungen undWirkungen dessen, was verändert wird. In seinem Werk "Dialektik der Natur" hatte Friedrich Engels vor Pyrrhussiegen über die Natur gewarnt und darauf hingewiesen, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberers ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außerhalb der Natur steht, sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen und daß unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor andere Geschöpfe ihre Gesetze zu erkennen und richtig anwenden zu können. Unter Berufung auf solcher Erkenntnisse gab es in der Sowjetunion vieler Warner, die auf mögliche verhängnisvolle Folgen von Eingriffen in ganze Flußsysteme mit aller Eindringlichkeit aufmerksam machten. Der Wasserkreislauf unserer Erde ist ein in sich geschlossenes System, in dem der Abfluß von den Landflächen 47 Mrd. m beträgt. Willkürliche Veränderungen, so wurde gewarnt, könnten zu verheerenden Überschwemmungs-und Dürrekatastrophen führen. Es bedarf also größter Verantwortung auch vor den kommenden Generationen.
Als der XXV. Parteitag der KPdSU 1976 das Startzeichen gab, sich des Dawydow-Plans von der Umleitung sibirischer Ströme zur »Veredelung der Natur« wieder anzunehmen, ging man davon aus, daß der Natur geholfen werden müsse, ihre Lebenskräfte vollständig zu entfalten. Es gibt den einfachen und altbekannten Ausdruck -blühendes Land-. So bezeichnet man Gebiete, in denen das Wissen und die Erfahrungen der Menschen, ihre Verbundenheit und Liebe zur Natur wahre Wunder vollbringen. Das ist unser Weg, der sozialistische Weg. Hieß es damals in den Dokumenten des Parteitages. Bald darauf wurde eine wissentschaftlich-technische Kommission für territoriale Umverteilung von Wasserresourcen beim Staatskomitee der UdSSR für Wissenschaft und Technik geschaffen, die die vorerst auf Forschungsarbeiten konzentrierten Erwägungen zu Flußumleitungen koordiniert und zur Entscheidungsreife bringt. Das Problem ergibt sich aus den natürlichen Bedingungen an den Strömen, Flüssen und Seen überaus reichen UdSSR. Diese Gewässer sind allerdings außerordentlich ungleichmäßig über das riesige Landmassiv verteilt. Vom mittleren Jahrerabfluß der Flüsse der Sowjetunion in einer Gesamtmenge von 4700 km entfallen lediglich 750 km , also knapp 16% auf jene Gebiete, in denen 85% der Bevölkerung und 80% der industriellen und landwirtschaftlichen Produkte erzeugt werden. Durch den zunehmenden Wasserverbrauch, der jetzt bei 220l pro Einwohner und Tag liegt, spitzt sich das Defizit an Wasser Jahr für Jahr zu. Besonders für die Landwirtschaft wird das spürbar, da rund 80% aller landwirtschaftlichen Nutzflächen in Klimagebieten mit unzureichender natürlicher Bewässerung liegen. Vor allem im Süden, Südosten und Osten des Landes ist in mindestens 3-4 Jahren jedes Jahrzehnts, in Mittelasien, Südkasachstan und Transkaukasien sogar in jedem Jahr Wassermangel zu verzeichnen. In den genannten Gebieten werden immerhin mehr als 2 Drittel der Getreidekulturen angebaut. Diese Situation zwingt dazu, die Böden in erheblichem Umfang zu meliorieren, um den im Nahrungsmittelprogramm der UdSSR geforderten hohen Lebensmittelfounds zu garantieren. (Von 200 Mio. ha Ackerland der UdSSR sind zur Zeit 11% be-und entwässert.) Berechnungen haben ergeben, das in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken zusätzliche Erträge von 15-20 Mio t. Getreide möglich sind, wenn den Ackerflächen ausreichend Wasser zugeführt werden könnte. Das hohe bioklimatische Potential der südlichen Territorien der Sowjetunion - viel Wärme und Sonne- könnte dann ungleich besser genutzt werden. Nach ähnlichen Berechnungen wäre durch die teilweise Umleitung nördlicher Flüsse in die Wolga lediglich mit einer Gesamtmenge von 5,8 km in den Fruchtbaren Gebieten des Nordkaukasus ein Produktionszuwachs von etwa einer halben Mio Tonne Fleisch, einer Mio Tonne Gemüse und Kartoffeln sowie 400 000 t Obst möglich - Mengen also, die für die Versorgung der sowjetischen Bevölkerung beträchtlich zu Buche schlagen würden. Begonnen werden soll mit der Auffüllung des Wolgabeckens wenige hundert Kilometer nördlich von Moskau. Der Ladogasee, die Onega und die Suchona, ein Nebenfluß der Nördlichen Dwina, sollen angezapft werden und einen Teil ihres Wassers an die südlichen Regionen abtreten. Außerdem müssen die Seen Latscha, Woshe und Kubenska von ihrem Wasser abgeben. Mit den geplanten Mengen -in den bereits seit einigen Jahrzehnten bestehenden Rybinsker Stausees geleitet - soll der Wasserstand der Wolga für den Schiffsverkehr und für die Fischwirtschaft stabilisiert werden. Überdies wird die dadurch mögliche Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen einen Zugewinn von 4,5 Mio ha Ackerland bringen.
Die zweite, weit umfangreichere Arbeiten erfordernde Etappe umfaßt die teilweise Umkehr der in die Barentssee mündenden Flüsse Nördliche Dwina und Petschora sowie des Dwinaquellflusses Wytschenga. Das abgeleitete Wasser soll durch Stauseen, in die es hineingepumpt wird, über die Kama in die Wolga zufließen. 5,8 Mrd m Wasser sollen durch das Anzapfen nach Norden fließender Gewässer nach Süden geleitet werden; das sind 4% der Nördlichen Dwina und 11% der Onega. Diese Verringerung wird sich nach den Worten des Direktors des Instituts für Wasserwirtschaft der UdSSR, Grigori Woropajew, das führend an den umfangreichen Forschungsarbeiten beteiligt ist, praktisch nicht auf das Wasserregime des Weißen Meeres auswirken. Der Fischreichtum der angezapften Flüsse werde allerdings nicht zu halten sein, was jedoch durch neue Fischzuchtbetriebe ausgeglichen erden könne. Der Bau von Schleusen sichere den Schiffsverkehr in die nördliche wie in die südliche Richtung. Das zusätzlich der Wolga zugeführte Wasser - in seinem Umfang das Mehrfache des jährlichen Wasserverbrauchs der DDR - wird vor allem am Unterlauf am größten europäischen Stroms Steppen und Halbwüsten (darunter die Kalmykensteppe) zum Blühen bringen. Einen besonderen Effekt versprechen sich die Planer des Projekts von dem verstärkten Wasserzustrom für die Hebung des Wasserspiegels des Kaspischen Meeres. Die Wolga führt bislang rund 15% weniger Wasser als früher - verursacht durch den hohen Wasserverbrauch der im Bereich des Stroms liegenden Großindustrie und die Entnahme für Bewässerungen.
Ein weiteres Absinken des Kaspischen Meeres dürfte nicht zugelassen werden, da in seinem Einzugsgebiet derzeit ein Viertel der Bevölkerung der UdSSR lebt sowie ein Drittel der Industrie und ein Fünftel der Agrarerzeugnisse produziert werden. Die Berechnungen über die Folgen des erheblichen Wasserzuflusses in die Wolga lassen sogar den Gedanken zu, über einen 2ten Wolga-Don-Kanal Wasser in das Asowsche Meer zu leiten, dessen absinkender Wasserspiegel durch hereinströmendes salzreiches Wasser des Schwarzen Meere zu erheblichen Störungen in Flora und Fauna geführt hat. Hat schon das Vorhaben, Wasser in den Kaspi-Einzugsbereich zu leiten, sensationellen Anstrich, so wird es von dem Projekt des Sibaral Kanals an Kühnheit erheblich in den Schatten gestellt. Es fußt auf der Überlegung, das unvorstellbar große Wassermengen Sibiriens ohne unmittelbaren Nutzen für das Leben und für die Volkswirtschaft in den hohen Norden abfließen, während südlich der kasachischen Schwelle weite Flächen wegen Wassermangels veröden, Flüsse und Seen austrocknen, erstrangige Rohstofflagerstätten wegen fehlenden Wassers nicht erschlossen werden können - und nicht zuletzt nur durch rigorose Maßnahmen das lebensspendende Naß für die zunehmende Bevölkerung in den Städten und Dörfern gesichert werden kann. "Die Frage ist niemals so gestellt worden, daß das Wasser um jeden Preis für den Norden nach Süden fließen soll" erklärte der Vorsitzende der wissenschaftlich-technischen Kommission für territoriale Umverteilung von Wasserressourcen, Minister Polad Sade, angesichts von Kassandrarufen westlicher Scharfmacher, die den Zusammenbruch des gesamten Klimas der Erde infolge der sowjetischen Regulierungspläne zu prophezeien versuchten. Unter Mitwirkung von 150 Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, darunter 23 Instituten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, wurden buchstäblich alle Aspekte eingehend untersucht, modelliert und prognostiziert. "Eine komplexe Prognostizierung berechtigt die Wissenschaftler zu der Feststellung, daß keinerlei Gefahr für Klimaveränderungen im globalen Maßstab besteht und daß sich negative Auswirkungen auf die Natur und die Wirtschaftstätigkeit in den Gebieten, aus denen Wasser abgeleitet wird, auf ein Minimum reduzieren, ja sogar gänzlich beseitigen lassen." Soweit Minister Polad-Sade, der dem Komitee vorsteht, daß die letzten Entscheidungen für das Sibaral Projekt vorbereitet. Besagter Kanal, der eine relativ kleine Menge Wasser nach Süden umgeleitet wird, soll einen Anfang am Ob unterhalb der Mündung des Irtysch nehmen.
An dieser Stelle macht der Ob, der als einer der größten sibirischen Ströme mit seinem Nebenfluß Irtysch jährlich 400 km Wasser in den arktischen Ozean wälzt, einen scharfen Knick aus östlicher in nördlicher Richtung. Der vorgesehene Kanal schlägt eine gerade Richtung nach Süden ein. Sein Wasser wird er einem mit gewaltigen Pumpwerken versehenen Stausee entnehmen und in die südlichen Regionen, in das Einzugsgebiet des Aralsees mit Syrdarja und Amudarja, führen. Für diejenigen, die das dann größte Kanalsystem, das Menschen je errichteten, auf ihren Reißbrettern entstehen lassen, steht der künftige Name schon fest : Sibirien-Aralsee-Kanal oder kürzer Sibaral Kanal. Seine Breite wird 150-200m betragen und mit einer Tiefe von 10-15m auch größere Binnenschiffen ausreichend Platz bieten. Die von den Projektanten berücksichtigte Schiffbarkeit erhöht den volkswirtschaftlichen Nutzen. Es ist nicht vorgesehen, dem Kanal ein betonenes Bett zu gießen, sondern er soll wie sein kleiner Bruder, der Karakumkanal, eine Erdrinne haben, die im wesentlichen, ausgetrockneten Urstromtälern folgen wird. Die Projektanten haben errechnet, das der Sickerverlust von etwa 10% gegenüber dem Aufwand für ein betoniertes Bett ohne weiteres in Kauf genommen werden kann. Nachdem das Wasser des mit dem Irtysch vereinten Ob - nur etwa 7% der Gesamtmenge des Stroms - in den Kanalhals eingeflößt worden ist, hat es mit Hilfe von insgesamt 5 Pumpwerken den Weg bergauf zu nehmen. 110m Höhe sind bis zur Wasserscheide an der Sibirischen Schwelle zu überwinden, bevor das Wasser mit eigener Kraft, pro Sekunde 1150m , in die Aralebene fließen kann. Auf seinem Weg bis zur Kanalscheide wird der Kanal Tobolsk passieren und sich dort über einige Kilometer in das Bett des Irtysch 'einschmuggeln'. Südlich von Tobolsk nimmt er seinen Lauf parallel zu dem entgegengesetzt fließenden Tobol, durchquert das in den letzten Jahrzehnten entstandene Erdölzentrum Tjumen weit östlich der Gebietshauptstadt, fließt an der Industriestadt Kurgan vorbei und erreicht die niederschlagsarmen Steppenregionen östlich des Urals, um im kasachischen Gebiet Kustanai nunmehr mit eigener Kraft in die Senke des südlichfließenden, aber im Wüstensand versiegenden Turgai hinabzusteigen. Bei dem Ort Irgis haben die Projektanten einen leichten Knick des Kanals in südöstlicher Richtung vorgesehen, um ihn an der Nordspitze des Aralsees vorbei durch die Wüste Aralkarakum bei Nowokasalinsk einen Teil seines von Norden herangeführten Wassers im Syrdarja abliefern zu lassen. Weiter durchquert der Kanal die Wüste Kysylkum in der Usbekischen SSR und erreicht an der Grenze zur Turkmenischen SSR in der Gegend von Urgentsch den Amudarja als Endstation seines 2550 km langen Weges. Syrdarja und Amudarja führen die vom Norden herangetragenen 27,2 km Wasser in den abflußlosen Aralsee, dessen Wasserstand dadurch mit seinen günstigen Folgen für Mikroklima, Flora und Fauna stabilisiert werden kann. Bevor es allerdings soweit sein wird, kann der Ob noch viele Jahre sein Wasser vollständig noch Norden führen. Die Bauzeit für den Sibaral Kanal wurde auf etwa 10 Jahre berechnet. Immerhin werden rund 6 Mrd m Erde bewegt werden müssen, um dem Kanal sein Bett zu graben. Diese Menge entspricht etwa dem Volumen von 6000 Cheopspyramiden, dem größten Bauwerk des Altertums. Diese schier unvorstellbare Dimensionen der Erdarbeiten reativieren sich, wenn man weiß, daß die Betriebe allein des Ministeriums für Melioration und Wasserbau der UdSSR gegenwärtig schon jährlich 7 Mrd m Erdreich bewältigen. Für den Kanalbau sind auch rationelle Sprengverfahren ausgearbeitet worden, die den Bauvorgang beschleunigen können. Das Sibaralprojekt ist ohne Zweifel ein Vorhaben, das weit in die Zukunft wirken wird. Aber schon die heutigen Generationen können unmittelbaren Nutzen daraus ziehen. Dieser ist so hoch, daß sich die enormen Kosten für das Bauwerk -etwa 14 Mrd Rubel (Stand 1986)- schon nach rund 15 Jahren amortisiert haben können. Dazu wird ins Feld geführt: links und rechts der 2550 km langen Uferstrecke können allein 4,5 Mio ha landwirtschaftlicher Nutzflächen neu erschlossen und bewässert werden. Ein System von Nebenkanälen kann zu weiterem Gewinn an Acker- und Weideflächen führen. Gerade für den Süden ist jeder Hektar Landgewinn von großem Wert, um unter den günstigen klimatischen Bedingungen in ungleich größerem Rahmen als bisher Viehwirtschaft betreiben zu können. Auf bewässerten Flächen Usbekistans erzielte man in den letzten Jahren 70 dt/ha und mehr an Futtermais. Das Futter läst sich hier leicht lagern, und auch die Koten für die Viehhaltung liegen erheblich niedriger als in anderen Gebieten der UdSSR. Der Kanal macht es ferner möglich, die entlang seiner Trasse liegenden Industriegebiete und Städte mit Wasser zu versorgen. Der gesamte Wasserhaushalt östlich des Urals, in Westsibirien, in der Kasachischen, der Usbekischen und der Turkmenischen SSR, würde nicht nur stabilisiert, sondern schafft Voraussetzungen für weiterer Bewässerungen von Steppen und Wüsten. Außerdem wird er gerade in Westsibirien auch eine Entwässerung weiter Sumpfgebiete bewirken und damit die Förderung reich vorhandener Vorräte an Erdöl- und Erdgas erleichtern. Schließlich befinden sich dort die wertvollsten Böden Westsibiriens, die durch die Regulierung des Wasserhaushalts für die Agrarwirtschaft verfügbar werden. Das Sibaral Kanal ist noch ein Vorhaben. Die wissenschaftliche und Projektierungsarbeiten werden noch bis zum Ende dieses Jahrzehnts (bis 89) fortgeführt werden, und auch Diskussionen werden weitergehen. Letztendlich wird die beste Variante für die Ökologie und für den volkswirtschaftlichen Nutzen zur Realität werden. Der XXVII. Parteitag der KPdSU stellte im März 1986 die Aufgabe, die Analyse aller Probleme, die mit der regionalen Umverteilung der Wasserressourcen im Zusammenhang stehen, zu vertiefen. Maßnahmen zur Bekämpfung der Dürre, zur Urbarmachung, Wiederaufforstung und Bewässerung, darunter zahlreiche Kraftwerks- und Kanalbauten, sollten die sowjetische Landschaft umgestalten. Auf diese Weise würden, so die hochgesteckte Erwartung, die materiellen Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus geschaffen. ... In der Tat plante die Sowjetunion gerade zu dieser Zeit Wasserbauten, gegenüber denen "alles, was bisher Menschenhände geschaffen haben, nur Zwergenwerk" sein würde. So ein Beobachter 1950, als der Ministerrat gerade den "Großen Stalinschen Plan zur Umgestaltung der Natur" verkündet hatte. Den gewaltigsten Teil dieser beispiellosen Raum- und Landschaftsplanung hatte der Wasserbauingenieur Mitrofan Michailowitsch Dawydow beigesteuert. Sein Plan zielte darauf, die ostsibirischen Ströme Irtysch, Ob und Jenissei aufzustauen und, statt sie "nutzlos" ins Eismeer fließen zu lassen, nach Süden umzuleiten. Durch die Turgaisenke südöstlich des Urals sollten sie schließlich den Aralsee und das Kaspische Meer erreichen. Innerhalb von zwei oder drei Jahrzehnten wollte Dawydow zugleich ein "Sibirisches Meer" von ungefähr 250000 Quadratkilometern Größe entstehen lassen sowie neue Wasserstraßen und Kanäle von Tausenden Kilometern Länge bauen. 28 Millionen Hektar Wüste und Steppe sollten durch Bewässerung fruchtbar gemacht, 22 Milliarden Kilowatt jährlich an elektrischer Energie gewonnen und das extreme kontinentale Klima in Sibirien und im kaspischen Raum gemildert werden. So würde die Ernährung für 200 Millionen Menschen gesichert, von denen viele in die neuerschlossenen Räume Sibiriens übersiedeln könnten...Schätzungen bezifferten den Aushub, der für den mit 2550 Kilometern Länge größten Kanal der Welt notwendig sein würde, auf bis zu 15 Milliarden Kubikmeter Erde. Gerüchten zufolge sollen für diese Erdbewegungen erstmals gezielt Großversuche mit Atomsprengungen vorgenommen worden sein. Mit der Ausdehnung des Zarenreiches nach Mittelasien im 19. Jahrhundert ergab sich in Russland die Chance die Abhängigkeit der Textilindustrie von den amerikanischen Baumwollinporten zu lockern. Die Wüsten in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan bieten nämlich ideale Bedingungen für den Anbau des so gefragten Rohstoffes Baumwolle: Lange, sonnige, heißtrockene Sommer und viel Wasser, das die Flüsse Syr-Darja und Armu-Darja die durch dieses Gebiet fließen und in den Aralsee münden, in scheinbar unerschöpflichen Massen liefern können. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden besonders unter sowjetischer Herrschaft diese bewässerten Baumwollfelder auf über 8 Millionen ha ausgeweitet. 1854 - 84 wurde die längste Wasserstraße der Welt, der 1500 km lange Kara- Kum-Kanal gebaut. Er zieht sich vom Aralseezufluß Amu-Darja bis zum Kaspischen Meer. Neben der Versorgung der Großstädte und Industrien mit Wasser des Amu-Darja, bewässert er über 500000 ha Wüste bzw. Baumwollfelder. Das "weiße Gold", Wie die Baumwolle auch genannt wird, lies Mittelasien zum alleinigen Produzenten von Baumwolle im Sowjetreich aufsteigen.
Ein gewisses Absinken des Seespiegels des Aralsees, durch die Wasserentnahme von seinen Zuflüssen, war von den Planern aus wirtschaftlichen Gründen in Kauf genommen worden. Doch der Syr-Darja versickert seit 1976 bereits in der Wüste bei Nowokasilinsk ca. 160 km vom Aralsee entfernt.Der Amu-Darja bringt heute weniger als 10% seiner früheren Wassermengen, d.h. 2,5 km statt 25 km (ungefähr). Allein 15 km verliert der südliche Aralzufluß an den Kara-Kum-Kanal. Durch den schlechten Bau der Verteiler des Wassers an die Baumwollfelder in oberirdischen, nichtbetonierten Kanälen gehen nahezu 50% des kostbaren Wassers nutzlos verloren. Die Chemisierung der Baumwollfelder verseucht das Grund- und Oberflächenwasser. Dieses vielfach belastete Wasser wird in den Aralsee durch seine Zuflüsse gebracht. Der Aralsee hat keinen Abfluß, deshalb verbleiben chemische Rück- stände in ihm. Doch trotz dieses katastrophalen Zustandes nutzt die Bevölkerung weiterhin dieses Wasser (wegen der enormen Wasserknappheit in den Wüsten; "Jeder Tropfen Wasser zählt")zur Trinwasserversorgung. Der langsame Tod des Aralsees spielt sich vor unseren Augen ab. Seit 1960 sinkt der Seespiegel des bis dahin viertgrößten Binnensees der Welt beständig. Die Seefläche verringerte sich bis bis heute um 36000 km . Diese Fläche entspricht ungefähr der von Baden-Würtemberg. In den letzten 25 Jahren ist der Seespiegel des Aralsees um 16 m gesunken; in weiteren 25 Jahren wird er vermutlich völlig ausgetrocknet sein. Doch die Katastrophe beschränkt sich nicht nur auf den bloßen Verlust des Sees,nein die Folgen des ständig andaurenden, hohen Wasserverlustes sind noch viel ausgeweiteter: Wo einst Fischkutter zum Fang ausfuhren und reger Hafenbetrieb herrschte, trotten heute Kamele und Kühe durch den Wüstensand. Unter ihren Füßen knirschen Salzkristalle wie bei einer Schneedecke. Der frühere Fischreichtum des einstigen "Blauen Meeres" ist zur Legende geworden, der See und seine Uferzonen sind biologisch so gut wie tot, und die Bevölkerung führt einen fast aussichtslosen Kanpf gegen die Folgen der Umweltzerstörung. Durch die Verkleinerung des Seekörpers verringert sich der Schutz Zentral- und Mittelasiens vor den kalten Nordostwinden aus Sibirien immer mehr; die Temperaturen steigen, die Luftfeuchtigkeit nimmt ab und durch die zunehmende Kontentalität (kalte Winter, heiße Sommer, große tägliche und jährliche Temperaturschwankungen) hat sich die frostfreie Zeit im Amu-Darja-Delta bereits von 200 auf 170 Tage reduziert: Die Wüsten Kara Kum ("schwarzer Sand") und Kysyl Kum ("roter Sand") haben eine rasch wachsensde Schwester, die "Ak Kum" ("weiße Wüste"), wie die Katastrophenzone rund um den See genannt wird, bekommen. über den trockenengelegten Seeboden fegen Stürme und verwehen jährlich über 100 Mio t eines aus Pestiziden, Entlaubungsmitteln und anderen Chemikalien bestehenden Sand-Salz-Gemisches bis zum Pamirgebirge; in der Umgebung des Sees schlägt sich jährlich über eine Tonne dieses Gemisches pro Hektar nieder und schädigt zusammen mit dem verseuchten Grundwasser den Böden und den auf den Feldern arbeitenden Menschen. Mit am stärksten betroffen sind die 1,4 Mio Bewohner rund um den Aralsee. Ihre Lebens grunlage, v.a. der Fischfang, sind vernichtet, ihre Gesundheit ruiniert. Die Zuwanderer, sesshaft gemachte Nomaden, zihen wieder ab, die russ. Bevölkerung bleibt krank am Aralsee zurück. Am häufigsten sind Erkrankungen der Atmungsorgane und Infektionskrankheiten. Ins Schreckenskabinett der ärzte gehören Harn- und Nierensteine: Der größte wiegt 60g und sieht aus wie eine mittelgroße Kartoffel. Doch Gift und Salz im Trinkwasser haben nicht nur Nierensteine zur Folge. Bei 80% der Frauen wurde Anämie (Blutarmut) festgestellt, Magen- und Darmkrebs sind bei den Einheimischen 3- bis 4-mal, Nierenkrebs 10-mal und Hepatitis 7- bis 10-mal häufiger als sonst in der GUS. Die Kindersterblichkeit liegt bei 15%, die Missbildungen bei Neugeborenen nehmen zu, und die Lebenserwartung insgesamt ist um mindestens 10 Jahre gesunken. Gibt es wirklich keine Rettung mehr??? Die Aussage der Wissenschaftler ist eindeutig: Eine Wiederherstellung des Zustandes von 1960 ist unmöglich. Bereechnungen zeigen, daß dem Aralsee jährlich 27 km (der 20ste Teil des Bodensees) zugeführt werden müßten, um die Seespiegelfläche von heute zu erhalten. Riesige Geldmengen sind dazu nötig, die die Betroffenen Staaten nicht von alleine aufbringen können. Ist die Rettung des Aralsees nur noch von außen möglich? Wo bleiben die Aufschreie der Naturschützer oder von Greenpeace? Zerstören wir die Lebensräume unserer Nachkommen aus rein ökonomischen Interessen?
Der Aralsee - die Zerstörung ...
Von Eva-Maria Stolberg - EM 08-04 30.08.2004
Die Geschichte des Aralsees ist eine ökologische Tragödie. Einst war er der größte See Eurasiens. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts begann mit dem Versuch, die Wassermassen wirtschaftlich nutzbar zu machen, das langsame Sterben des Aralsees. Die Osteuropahistorikerin Dr. Eva-Maria Stolberg erzählt die traurige Geschichte von der Zerstörung eines orientalischen Märchens. mehr
Gefährlich und zu teuer
Marianna Butenschön | © DIE ZEIT, 21.03.1986 Nr. 13
Moskau verzichtet nun doch auf die Umleitung ganzer Flüsse
Es ist noch kein Jahr her, da schwärmten sowjetische Medien vom „Antifluß", vom „Kanal des Jahrhunderts", vom größten Raumentwicklungsplan aller Zeiten. Gemeint war „Sibaral", jener auf 2550 Kilometer Länge projektierte Kanal, der Wasser aus den westsibirischen Flüssen Ob und Irtysch nach Mittelasien bringen und über die versandenden Flüsse Syrdarja und Amudarja den vom Austrocknen bedrohten Aralsee auffüllen sollte. Riesige Bewässerungsprojekte ließen die Vision eines blühenden Garten Eden in den Wüsten Turkestans entstehen, einer neuen Kornkammer mit „garantierten Ernten", die nicht nur alle Versorgungsund Beschäftigungsprobleme dieser überbevölkerten Region lösen, sondern auch zum Obstund Gemüselieferanten für die Erschließungsgebiete Sibiriens werden sollte. mehr
Wenn Sibiriens Flüsse rückwärts fließen
DER SPIEGEL 47/1984 vom 19.11.1984, Seite 194-200
Ein gigantisches Kanalsystem in Sowjet-Asien soll das nördliche Klima ändern Ein sowjetisches "Jahrhundertprojekt": Kehrt man den Lauf der Ströme Sibiriens um, läßt sich der Eiskeller der UdSSR trockenlegen und Mittelasien bewässern - und Rußland hätte keine Nahrungssorgen mehr. Premier Tichonow hat sich jetzt zu dem Projekt bekannt, das aber in der Sowjet-Union umstritten ist. Die Kosten sind zu hoch, der Effekt ist ungewiß. Für Nordeuropa und Nordamerika könnte sich sogar das Klima ändern. *
Dort, wo einst beißender Sandsturm über die Steppe heulte, wogen Getreideähren. Im Süden, wo selbst Eidechsen unter Erdkrumen vor der Glutsonne heute noch Schutz suchen, wächst grünes, saftiges Gras, auf dem glückliche Kühe weiden.
In jedem Laden der Sowjet-Union gibt es ausreichend Fleisch, Milch und Obst, vergessen sind die Schlangen vor den Geschäften und die Lebensmittelkarten. Die Staatsbank muß nicht mehr mühsam verdiente Devisen an die bösen Amerikaner für Kornimporte überweisen, vorbei ist es mit den Erntepleiten - die Sowjetmenschen sind zufrieden mit ihrer Partei. mehr
Ewiger Sommer
DER SPIEGEL 52/1978 vom 25.12.1978, Seite 95
Einige große Flüsse sollen in eine andere Richtung fließen. Gelingt der Plan, ändert sich womöglich auch das Wetter in Westeuropa.
Sibirien-Forscher Rusinow sagte eine Umweltkatastrophe voraus: "Pflanzen und Fische würden aussterben, und auch mit der Flußschiffahrt wäre es wohl vorbei", prophezeite der Direktor des Forschungsinstituts für Hydraulik und Landerschließung im Moskauer Gewerkschaftsblatt "Trud".
Der Grund für Rusinows Befürchtung: Sowjetische Wissenschaftler wollen die sibirischen Flüsse Ob, Irtysch und Jenissej nach Süden umleiten. Bislang fließen die drei Ströme zur Nordküste und münden dort ins nördliche Eismeer.
Das Projekt soll den in Mittelasien gelegenen Aral-See vor der Austrocknung bewahren. Weil der Wasserspiegel sinkt, befürchten Wissenschaftler, könnte dort in zwanzig bis dreißig Jahren ein Sumpfgebiet entstehen. mehr